Weihnachten in der Schüdere

Zwischen dritten Säulen, Buntwäsche und Scheidungskrieg

von

Manuskript von und zu Bümpliz
von Anders Anders

Unter dieser Rubrik schreibt das Bümplizer Urgestein Anders Anders in regelmässig unregelmässigen Abständen Liebesgeschichten an seine Wiege- und Windelstätte. Beruhend auf nebulösen Erinnerungen und durchtränkter Fiktion zollt er Orten, Figuren und Lebensarten des gemeinen Bümplizers gebührenden Tribut.

Kusi hätte schon noch mit seinen Büezergiele in das Schützenhaus an den Stammtisch hocken können. Dann hätten sie Biere getrunken, Chrige hätte für jedes servierte Bier Striche auf den Bierdeckel gekritzelt. Die Striche hätten sich in Fünfergruppen vervielfacht. Und am Schluss hätten sie gefuttert, dass da doch zu viele Striche seien und sie nicht so viel getrunken hätten. Die Chrige hätte gesagt, sie sollen gefälligst nicht so rüsseln, sie habe ja die Biere nicht getrunken, sondern gebracht, und dies erst noch flott und zügig. Dann hätten sie also bezahlt, sich zugenickt und wären im Schimmer der weihnachtlichen Häuserbeleuchtungen nachhause getorkelt.

Vielleicht hätten sie auch die eine oder andere Frau im Schuppen schön getrunken und mit schwerer Zunge irgendetwas Aufregendes gebrabbelt.

Er hätte vielleicht von seiner Chinareise erzählt. Die war zwar schon 20 Jahre her, aber das wäre vielleicht etwas gewesen, das hätte eine Frau doch vielleicht beeindruckt? Er, Kusi, alleine mit Rucksack, in einer völlig anderen Kultur, in der grossen weiten Welt und nicht da, in Bümpliz, in der Schüdere, am Stammtisch. Er hätte vielleicht bei Chrige zwei Strohhalme bestellt und hätte mit deren Hilfe der Frau gezeigt, wie die Chinesen mit Stäbchen essen. Sie hätten sich krummgelacht, als sie versucht hätten, sich mit den Strohalmen Kaugummis in den Mund zu schieben. Er hätte von einer chinesischen Region erzählt, in der die Frauen das Sagen hätten und die Männer nur die Habaschen seien, bestenfalls für das körperliche Glück der Frau am Abend ihre Verwendung fänden. Das hatte er in der Zeitung gelesen, aber er würde die Geschichte so erzählen, als sei er selbst mit seinem Motorrad damals durch genau diese Gegend gefahren, als hätte er China in pionierartiger Manier entdeckt und das Leben dort aufgesogen. Und als wäre er nicht zwei Monate in einer schmuddeligen Jugendherberge in Peking verkommen- im Circuit von der Matratze in der Unterkunft, dem Imbiss in der Ecke zu einer schäbigen Touristendisko und zurück.

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Irgendwann wäre sein Blick immer mehr auf ihre Brüste gefallen, er hätte den chinesischen Seidenfaden verloren. Sie hätte ihn plötzlich auch zweideutig, schmachtend angeblickt und das chinesische Gelafer wäre unnötig geworden. Irgendwann hätte er ihr die Hand auf das Knie gelegt. Und sie wären aufgestanden, hätten sich einander eingehackt und wären schief und stolpernd zu ihr nachhause gegangen. Vielleicht hätten sie auf der Strasse sogar lauthals drei oder eben zwei Chinesen mit dem Kontrabass gesungen und hätten sich wahnsinnig lustig gefunden.

Wobei das eigentlich eher unwahrscheinlich erschien, erstens müsste es Jahre her sein, als die letzte Frau mit ihnen am Stammtisch sass und zweitens, wäre sicher der Schaller, der Hagel, ihm in seine Chinamasche gefallen und hätte grossspurig mit seiner Bude angegeben, auch wenn es nur ein defizitäres Spenglergeschäft ist, so wäre er wohl mit seinem Vorarbeiter doch ziemlich rasch in der internen Punktewertung im Ring, in der Gunst der Frau, in Rücklage gewesen.

Es kann mir ja egal sein, was heute Abend am Stammtisch passiert wäre, wäre ich dort gesessen. Es wäre bestimmt nicht anders gewesen, als wenn ich nicht dort gewesen wäre. Ich sitze ja auch sonst jede Weihnacht dort und das nicht erst seit letztem Jahr, sondern schon seit vorletztem, vorvorletztem und vorvorvorletztem Jahr, dachte Kusi als er im Dreizehnerbus um halb Zehn in die Stadt fuhr.

Das Geräusch des Buses, ein heulendes Summen oder eher summendes Heulen, liess ihn müde werden. Hinten in der letzten Reihe, sass eine aufgetakelte Gruppe Jugendlicher, die sich getarnt durch eine Petflasche, Alkohol einflösste. Wodka Gummibärli, Red-Bull und Wodka oder sonst irgendetwas Klebriges und Figg-dini-méer-mann. Sie hatten, so schien es, die ganze Welt und vor allem den Abend noch vor sich, das Leben hielt etwas parat, da konnte noch so viel passieren, auch wenn jemand nur in den Bus kotzen müsste, so war es doch etwas Unerwartetes. Ihm, Kusi, würde das und anderes, nicht heute und auch an einem anderen Abend nicht passieren, würde das Leben nichts Unerwartetes übergeben, dessen war er sich sicher, denn so war es schon lange Zeit so. Er schaute aus dem Fenster und seine Wut über den Schaller, der ihm, wenn auch nur fiktiv, seine Tube in der Beiz streitig gemacht hätte wuchs, so sehr, dass er den Schaller in diesem Moment tiefgründig verabscheute. In den durch das Dunkle der Nacht spiegelnden Scheiben sah er sich an. Er war nicht aufgetakelt sondern abgetaklet, 40 Jahre alt, vom harten und ungesunden Leben gezeichnet. Wäre die Kare damals vor vier Jahren nicht, dann, ja vielleicht wäre es anders gekommen mit ihm und seinem Leben. Weniger knorzig halt! Immer ein Murks das Leben von früh bis spät, ein einziger nebliger November. So und ähnlich dachte Kusi im Bus und es summte und heulte. Und gut zu wissen ist, dass Kusi nicht immer so dachte, so abgelöscht, so gnietig war, und nicht immer die Schnurre so voll hatte, aber in diesen Tagen, war es halt tatsächlich November und verdammt neblig und scheisskalt dazu.

In den Lauben gähnte die Leere. Nur hier und da Schüsse von Frauenhacken oder Gewieher von Hengsten. Da und dort Wortfetzen vorbeifliegend, irgendwo zwischen dritten Säulen, Buntwäsche und Scheidungskrieg. Zu Kalt um die warme Stube zu verlassen, das Fernsehen gaukelt einem auf der Couch Leben vor und bringt Bilder von der Karibik auch im Winter ins Haus, dachte Kusi und trat ins Pyrenaes, eine Altstadtbeiz , wo man nicht wegen zu nachtessenden Gästen weggeschickt wird, wo man noch einfach das machen darf, was man in einer Spelunke machen sollte, trinken und schnurren. Als Kusi auf der Schwelle stand, schaute er nach hinten, seitwärts, links oder rechts? Das Gelächter, das in diesem Moment aufbrauste, hatte ihn verunsichert: Gleich ein Gramm Selbstwert verloren. “Olà Caballero!“, der diffige Kellner bahnte ihm einen Weg durchs Gewühl. Kusi bestellte ein Bier und sass neben die Frau, die in der Sonntagszeitung versank. Als sie den Artikel über China aufblätterte, brach Kusi das Schweigen.

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News - 25.12.2020 - Weihnachten in der Schüdere

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